Foto: Szene aus „Don Carlo” © Frol Podlesnyi Text:Joachim Lange, am 27. September 2024
Kirill Serebrennikov will an der Wiener Staatsoper zeigen, dass Verdis Schiller-Oper „Don Carlos“ eben kein Kostümschinken ist. Dabei zerbröselt das Stück. Dafür bietet die Staatsoper musikalische Exzellenz – mit Philippe Jordan am Pult und Asmik Grigorian als Elisabetta.
In Wien wurde Peter Konwitschnys Inszenierung der bis dahin längsten fünfaktigen Version von Verdis Schiller-Oper „Don Carlos“ (inklusive Ballett) vor 20 Jahren für manche zum Kult, zumindest aber zu einem Meilenstein der Verdi-Rezeption. In Wien leistete man sich damals schon den Luxus der vieraktigen italienischen Parallelproduktion.
Dass man für deren Erneuerung jetzt Kirill Serebrennikov beauftragte, ist nicht nur nachvollziehbar, sondern weckte auch hohe Erwartungen. Noch vom Moskauer Hausarrest aus hatte sich der heute im Exil lebende Russe u.a. mit seinem hochpolitischen Wiener „Parsifal“ als Regisseur im Westen etabliert. Sein „Lohengrin“ an der Bastille-Oper in Paris war gar eine der politischsten und packendsten Inszenierungen der vorigen Spielzeit!
Serebrennikov hat also bereits exemplarisch vorgeführt, wie man in einer Großoper des 19. Jahrhunderts szenische Relevanz für die Gegenwart freilegt und daraus packendes Musiktheater macht! Und dann prädestiniert ihn natürlich vor allem seine eigene Biografie für die wohl ambitionierteste einer Schiller-Vorlage folgende Oper Verdis. Schon, weil hier das Private so politisch ist wie selten. Und weil sich sowohl Schiller als auch Verdi mit Genie und Pathos auf die Seite der Freiheit stellen. Die mit alldem verbundenen und mit einigen Vorfeldinterviews noch verstärkten Erwartungen ist er jetzt in Wien verblüffender Weise nicht mal ansatzweise gerecht geworden.
Die Rolle von Staatsroben
Im Grunde hat Serebrennikov nur gegen das Klischee aninszeniert, „Don Carlo“ sei ein Kostümschinken. Dazu treibt er vor allem die an sich interessante Idee auf die Spitze, dass die Staatsroben ihre Träger extrem einengten und für das Gefangensein in ihren gesellschaftlichen Rollen stehen. Man hätte verstanden, wenn Philipp II. bei ihm einem Diktator von heute geglichen hätte. Stattdessen banalisiert er szenisch, was musikalisch hochdramatisch und packend erzählt wird:
Ausbeutung in der globalisierten Textilindustrie, Umweltverschmutzung oder brennende Wälder als Symptom der Naturkatastrophen sind schlimm. Aber lassen sich die allseits bekannten Video-Bilder dazu wirklich gegen die Barbarei eines Autodafé in Stellung bringen? Ist das nicht längst ein zeitlos gültiges Bild dafür, wozu Menschen und von ihnen geschaffene Institutionen fähig sind?
Serebrennikov verlegt das Geschehen (auch als Ausstatter) in ein steriles „Institut für Kostümgeschichte“. Hier werden die Originalkostüme des spanischen Hofes von Philipp II. nicht nur aufbewahrt und gepflegt, sondern auch am lebenden Objekt auf ihre Brauchbarkeit geprüft. Der König ist hier nur der Verwaltungschef mit Aktentasche, der Großinquisitor hat offenbar das letzte Wort. Stumme Darsteller-Alteregos von Philipp und Carlos, Elisabeth und Eboli werden von Helfern mit prächtig nachgearbeiteten Originalkostümen akribisch ein- und dann wieder entkleidet.
Dazu gibt es biografische Notizen zu den historischen Vorbildern des Opernpersonals. Serebrennikov verlängert so die Vorlage rückwärts in die Zeit der Handlung und vorwärts in die Gegenwart. Simpel nebeneinandergestellt, ergibt das weder eine Zeitreise, noch eine konsistente Überschreibung. Das Stück zerbröselt auf dieser dramaturgischen Folter wie am Ende das Gewand von Karl V. – immerhin ein Schlusspunkt als selbstreferenzielle Pointe.
Musikalische Exzellenz der Wiener Staatsoper
Was von Liebe und Staatsraison zwischen Elisabetta und Carlo, oder der Selbsttäuschung der Eboli, von Freundschaft zwischen Carlo und Posa, oder von der Utopie von Freiheit und der Sehnsucht nach einem Menschen vom Posa und Philipp verhandelt wird, bleibt im Hin- und Her der Ebenen letztlich der musikalischen und darstellerischen Überzeugungskraft der Protagonisten vorbehalten. Und da hatte die Staatsoper die Exzellenz auch zu bieten, die man hier zu Recht erwartet.
Allen voran beim scheidenden Musikchef der Oper Philippe Jordan und dem Orchester der Wiener Staatsoper, die einfühlsam keine intime Passage unterschlugen, nie gegen sondern immer mit den Sängern waren, aber auch das Pathos auflodern ließen, wo es hingehörte. Jordan lieferte obendrein einen szenischen Beitrag, als er einer aufkommenden Buh-Attacke während der Vorstellung ein weißes Tuch an seinem Taktstock sichtbar entgegenhielt. Ob schlichtendes Friedensgebot oder eigene Kapitulation vor dem, was oben passierte, ließ sich so genau nicht sagen. Er und die Protagonisten wurden jedenfalls durchweg und zu Recht von der Gunst des Publikums getragen. Von Joshua Guerrero als Don Carlo, Étienne Dupuis als Posa und einem herausragenden Roberto Tagliavini als Philipp bis zu Eve-Maud Hubeaux als Eboli und natürlich Asmik Grigorian als Elisabetta allen anderen und dem Chor war vokaler Luxus angesagt. Für sie alle war Beifall so einhellig wie der Buhsturm für die Regie.